Verfassungsgericht Maria-Theresia Weber 92Die Rentenreform 1957 sollte Konrad Adenauers großer Wurf werden. Den Wechsel von der kleinen Rente als Zubrot hin zur „dynamischen Rente“, die einkommensabhängig wächst und den Lebensstandard sichern sollte, setzte der damalige Bundeskanzler schließlich gegen viel Widerstand durch. Die Reform verließ sich dabei auf die Jungen: Rente war nicht länger ein verzinster Beitrag des Versicherungsnehmers selbst, sondern die mittlere Generation zahlte einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens als Rente an die ältere Generation. Vertraut wurde darauf, dass das System auch mit den nachwachsenden Generationen funktioniert, denn „Kinder kriegen die Leute immer“. Weit gefehlt.

Heute, 60 Jahre nach Adenauers Reform, stehen immer weniger junge Menschen immer mehr und immer älteren Menschen gegenüber. Das System „Generationenvertrag“ kann so nicht mehr funktionieren, es droht zu kollabieren. Darüber hinaus hat es zwei entscheidende Geburtsfehler: Es verlässt sich ohne Unterschied auf alle in der mittleren Generation. Ob jemand kein Kind, ein Kind oder viele Kinder erzieht und damit für den Erhalt des Systems überhaupt erst sorgt, spielt keine Rolle. Jeder zahlt die gleichen Rentenbeiträge. Darüber hinaus lässt es Eltern im Alter mit kleinen Renten im Regen stehen.

Das ist verfassungswidrig, urteilten die Obersten Richter im – vom DFV erstrittenen – „Trümmerfrauenurteil“ 1992. Mit dem „Pflegeversicherungsurteil“ von 2001 verpflichteten die Bundesverfassungsrichter den Gesetzgeber darüber hinaus, die Benachteiligung von Familien auf der Betragsseite auszuräumen und dabei auch die anderen Zweigen der Sozialversicherung auf Familiengerechtigkeit zu prüfen.

Denn Eltern zahlen bisher mit dem generativen und dem finanziellen Beitrag doppelt in die Rentenkasse ein. Und nicht nur das: Wer Kinder erzieht, steigt zwangsläufig aus dem Beruf aus, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. Er nimmt also Einkommensnachteile – die sich auch auf die künftige Rente auswirken – in Kauf und muss außerdem verpasste Karrierechancen hinnehmen. Die magere Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rente gleicht das in keiner Weise aus.

Dabei gab es durchaus Pläne, Eltern in der Beitragsgestaltung gerechter zu stellen. In der Urfassung der Rentenreform sah der Kölner Wirtschaftstheoretiker Wilfrid Schreiber zwei öffentliche Kassen vor: Eine für die Jugend, die andere für Rentner. Der so genannte Schreiber-Plan wurde von seinem Schöpfer so begründet:

„Wer kinderlos oder kinderarm ins Rentenalter geht und mit dem Pathos des Selbstgerechten für gleiche Beitragsleistung gleiche Rente verlangt, zehrt im Grunde parasitär an den Mehrleistungen der Kinderreichen, die seine Minderleistung kompensieren.“

Schreiber, selbst kinderlos, wählte vielleicht eine zu scharfe Formulierung, er hob aber die Bedeutung der generativen Leistung von Eltern für den Erhalt des Systems zu Recht heraus. Adenauer berücksichtigte diese Idee nicht und setze das Zwei-Generationen-Modell durch.

Vor 1957 hatte eigener Nachwuchs die Absicherung im Alter bedeutet. Verwandte ohne Kinder wurden von der Familie „durchgefüttert“. Heute versorgen Beitragszahler nicht mehr nur die eigenen Eltern, sondern die gesamte Altengeneration. Diese Aufgabe wurde also vergesellschaftet. Doch die Erziehung von Kindern und damit die Sicherung des „Deckungskapitals“ des umlagefinanzierten, auf dem Generationenvertrag basierenden Systems ist bis heute das „Privatvergnügen“ der Eltern geblieben.

Darum verwundert es nicht, dass die mittlere Generation kaum noch atmen kann, wenn sie sich um Kinder und Eltern gleichzeitig kümmern muss – finanziell und persönlich. Kinderlose dagegen können bruchlose Erwerbstätigkeit vorweisen und müssen nicht der Kinder wegen auf wichtige Karriereschritte verzichten. Ihre Renten fallen höher aus – und werden von den Kindern jener gezahlt, die sich im Alter mit geringen Renten zufrieden geben müssen, weil sie für den Nachwuchs beruflich und finanziell zurück stecken mussten.

Der Deutsche Familienverband fordert seit Jahrzehnten Beitragsgerechtigkeit für Familien. Doppelte Beiträge in die Sozialversicherungen machen Eltern und Kinder arm, obwohl diese für den Erhalt des Systems überhaupt erst sorgen! Mit der Kampagne „Wir jammern nicht  – wir klagen!“ haben der DFV und der Familienbund der Katholiken Tausende mobilisieren können, sich gegen die verfassungswidrige Beitragsgestaltung zur Wehr zu setzen. Doch die Politik schweigt und sitzt das Problem aus – 60 Jahre nach Einführung der Rentenreform und kurz vor den anstehenden Bundestagswahlen.