Siegfried Stresingvon Siegfried Stresing, Kampagnenleiter elternklagen.de

Für den 15. September 2016 waren weitere Verhandlungen vor dem Bundessozialgericht (BSG) von Familien terminiert, die nicht jammern, sondern klagen. Die Fachwelt bereitete sich darauf vor. Doch dann kam die Überraschung: Der vorgesehene Termin wurde nach Beratung im 12. Senat aufgehoben.

Möglicher Weise spielte hierbei nicht nur die Zeit eine Rolle, die alle Beteiligten benötigen, um die umfassenden Schriftsätze der Klägerseite zu lesen. In einem Urteil des 5. Senats erscheint ein Zuwarten geboten, „um den Kläger in den Genuss einer ihm möglicherweise positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kommen zu lassen. Endet das verfassungsgerichtliche Verfahren indessen erfolglos, begründet der bisherige Prozessverlauf keine Erwartung hinsichtlich der Zulässigkeit der Revision oder darauf, dass sich das Revisionsgericht hierauf nicht mehr berufen werde.“

Im Klartext: Neben dem „Wohlwollen“ für den Kläger könnte die Hoffnung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutsam sein.

Das Bundessozialgericht hatte sich in früheren Entscheidungen ziemlich verfahren:

Als die ersten Familien merkten, dass familiengerechte Sozialversicherungsbeiträge weder politisch noch einfachrechtlich zu erreichen sind, begehrten sie eine Vorlage an das BVerfG. Sie beriefen sich auf das Grundsatzurteil zur Anerkennung von Betreuungs- und Erziehungsleistungen aus dem Jahr 2001, das sich ausdrücklich nicht auf die Pflegeversicherung beschränkte. Ein „Generationenvertrag“, der sich auf das Vorhandensein einer nächsten Generation stützt, muss auch die Vorsorge für deren Existenz als prinzipiell „gleichwertigen Beitrag“ anerkennen („generativer Beitrag“).

Der Gesetzgeber hatte den vom BVerfG aufgegebenen Korrekturauftrag nur halbherzig mit einem geringfügigen Beitragszuschlag für Kinderlose in der Pflegeversicherung umgesetzt. Auf eine Differenzierung nach Kinderzahl hat er ebenso verzichtet wie auf eine Entlastung während der Zeit der Kindererziehung. Einmal ein Kind geboren – für immer Kindererziehender.

Angesichts dieser Untätigkeit des Gesetzgebers musste sich das BSG zwangsläufig mehrfach mit der Anerkennung des generativen Beitrags befassen, zuletzt am 30. September 2015. Dabei wurden aber stets verfassungsrechtliche Maßstäbe abgelehnt, das „Gleichheitsverständnis“ (Art. 3 GG) des BSG blieb im Verborgenen. Zumindest wäre zu erwarten gewesen, dass sich das BSG mit den Unterschieden der Beiträge von Kinderlosen und von Eltern auseinandersetzt – oder diese Frage dem BVerfG vorlegt.

Nach Erkenntnis des BSG kennt die gesetzliche Rentenversicherung bspw. keine „Sonderbeziehung“ zwischen aktiv erwerbstätiger und nachwachsender Generation, keinen „generativen Beitrag“. Genau das wird in der dem Gericht vorgelegten Klage bemängelt! Und die Konsequenz daraus?

Anstelle des Grundgesetzes beschäftigt das BSG die Sorge, dass die Berücksichtigung der Kinderzahl mittelbar weitere Beitragserhöhungen für Kinderlose nach sich ziehe. Das Gericht geht soweit, sich auf empirische Belege zur durchschnittlichen Haushaltsgröße zu stützen und Eltern mit nur einem Kind als Maßstab einer typisierenden Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwandes aller Eltern als unbedenklich zu betrachten. Dass alle bisherigen Kläger mehrere Kinder haben, interessierte nicht bei den Urteilen im Namen des Volkes.

Gestützt wird das BSG durch etliche Vertreter des eingebürgerten „bewährten“ Systems. Die Sorge für die ältere Generation wird kollektiviert (durch die Kinder anderer getragen), die für die nachwachsende Generation bleibt individualisiert. So können Kardinalfehler der Sozialversicherung und eine verkehrte Denkwelt bestehen bleiben und gegen die Verfassung verteidigt werden.

Den Familien bleibt nur die Hoffnung darauf, dass sich das BVerfG treu bleibt, die Unlust des Gesetzgebers, verfassungsgerichtliche Vorgaben ernst zu nehmen, stoppt und ihn deutlicher in seine Verantwortung nimmt.

Familien aber ist es nicht länger zumutbar, den Weg durch die Instanzen zu gehen. Sie wurden mit ungezählten Aufforderungen durch Krankenkassen belastet. Statt sich mit der Hauptsache zu befassen, erhielten sie seitenlange Begründungen für Verwaltungshandeln. Die Aussichtslosigkeit ihres Vorhabens wurde ihnen durch das Urteil des BSG vor Augen geführt. Bei Klagen vor Gericht konnten sie sich nicht auf den Amtsermittlungsgrundsatz verlassen. Sie mussten ihrem Arbeitgeber erklären, dass es auch um „seinen“ Beitragsanteil geht. Beklagte Beitragseinzugsstelle hielten es nicht für erforderlich, die Rentenversicherung in Verhandlungen vor Gericht einzubeziehen. Ungezählte Steine veranlassten einige der mehr als 2.000 Familien aufzugeben. Die große Mehrheit hielt durch!

Wir waren, manchmal bis zum Rand der Erschöpfung, mit Anfragen befasst. Tausende Kopien mussten erstellt und versandt werden. In einigen ausgewählten Verfahren begleiteten wir bundesweit Familien als Beistand vor Gericht. Bei dieser Gelegenheit sei allen gedankt, die unsere dabei entstandene finanzielle Belastung durch eine Spende reduzierten sowie uns durch Dank und Zuspruch ermuntert haben.

Nun ist das Bundesverfassungsgericht gefragt. Die Verfassungsbeschwerde 14.12.2015 gegen den Pflegevorsorgefonds ist noch immer nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil BSG 30.09.2015 hat noch nicht einmal ein ordentliches Aktenzeichen. Bis die Schieflage des geltenden Systems behoben ist, wird in jedem Fall noch ein weiter Weg zu bewältigen sein.

Wir werden diesen Weg weitergehen. Aber nicht mehr mit mehr als 2.000 Familien, nicht mehr in der Begleitung von mehr als. 200 Familien vor Gericht. Sondern mit ausgewählten Musterfällen. Allen anderen Familien haben wir ein Ruhen ihres Verfahrens empfohlen, was eine Wiederaufnahme nicht ausschließt. Denn das Anliegen ruht nicht!

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Wir jammern nicht – wir klagen

 

Siegfried Stresing ist Vater von fünf Kindern, Sozialarbeiter und Betriebswirt. Stresing ist seit über 25 Jahren in der Familienpolitik tätig und war von 2007 bis 2016 Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes e.V. (DFV). Er ist Kampagnenleiter von elternklagen.de. 


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