von Dr. Klaus Zeh, Präsident des Deutschen Familienverbandes (DFV)
Nachhaltigkeit ist kein Modewort oder nur ein aktueller Trend. Sie ist bedeutend mehr als das: Nachhaltigkeit ist ein Gestaltungsauftrag, der uns auffordert, eine generationengerechte Gegenwart und Zukunft zu gestalten.
Nachhaltigkeit betrifft unmittelbar uns alle: Denn wir, unsere Kinder und Enkelkinder werden mit den negativen oder positiven Konsequenzen unserer heutigen Entscheidungen leben müssen – wir profitieren oder „baden sie aus“. Politikern kommt beim Thema Nachhaltigkeit eine tragende Rolle zu, denn sie geben mit Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen maßgeblich die Fahrtrichtung vor. Sie müssen die Bedürfnisse der heutigen Generation genauso in den Fokus nehmen wie diejenigen der zukünftigen Generationen.
Nachhaltigkeit ist viel zu wichtig, als dass sie nur als regulative Idee inmitten des Gesetzgebungsprozesses mehr oder minder Beachtung findet. Vielmehr muss sie zu einem regulativen Maßstab erhoben werden, der alle politischen Ressorts gleichermaßen berührt. Bisher findet sich der Schwerpunkt Nachhaltigkeit nur in zwei Bereichen des Grundgesetzes – im Umweltschutz (Art. 20a GG) und in der Haushaltspolitik (Art. 109 Abs. 2 GG und Art. 115 Abs. 2 Satz 1 GG).
Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit und damit die wichtigste Gestaltungsvariable unserer Gemeinschaft hat hingegen keinerlei Verfassungsrang. Die Konsequenz: Schleichende und über Jahrzehnte zementierte Ungerechtigkeiten in der Sozialgesetzgebung – trotz des Sozialstaatsgebots des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG). Unter der Vernachlässigung nachhaltigen Handelns haben vor allem diejenigen zu leiden, die das Sozialsystem überhaupt erst am Leben halten: Kinder, Eltern, Familien.
Nachhaltigkeit mit Verfassungsrang
Nachhaltigkeit mit Verfassungsrang – eine überaus diskutable Idee, die den Gesetzgeber verpflichtete, generationengerechte und zukunftsorientierte Politik zu gestalten. Zwar untersucht § 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) bereits beabsichtigte Auswirkungen und unbeabsichtigte Nebenwirkungen von Gesetzen, in der Praxis allerdings versagt das Prinzip kläglich. Das zeigen die gegenwärtigen sozialpolitischen Baustellen: Familien werden zum Beispiel trotz einschlägiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts (siehe dazu: www.elternklagen.de) in den Sozialversicherungen ungerecht behandelt. Darüber hinaus gibt es beim Thema Betreuung noch immer keine echte Wahlfreiheit.
Die Sozialgesetzgebung ist oftmals blind gegenüber den wirklichen Bedürfnissen von Familien. Anstatt sie als Leistungsträger unserer Gesellschaft adäquat und zukunftsorientiert zu fördern, werden sie zu Bittstellern degradiert und einem wirtschaftlichen Orientierungskurs des Staates untergeordnet. Nachhaltiges Handeln ist das jedenfalls nicht!
Die Verankerung eines allgemeinen und unbeschränkten Nachhaltigkeitsgebots im Grundgesetz würde der Gesetzesfolgenabschätzung die dringend benötigte Kraft und Autorität verleihen. Bis heute fehlt es an einer verbindlichen Prüfung der Auswirkungen von Gesetzen auf Familien – mit entsprechend negativen Folgen in vielen Rechtsbereichen.
Auch Verwaltungsentscheidungen fallen meist ohne Abwägung der Folgen für Familien. Auf allen politischen Ebenen muss deshalb eine Nachhaltigkeitsprüfung eingeführt werden, die Vorhaben und Vorschriften darauf prüft, ob sie der Familie nutzen, ihr schaden oder sie nicht tangieren.
Anhand dieser Maßgabe wären die staatlichen Gewalten dazu verpflichtet, auf intra- und intergenerationelle Bedürfnisse zu achten, ohne dass es zu sozialgesetzlichen Verwerfungen kommt. Sie müssen immer wieder vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden – so geschehen im Urteil zur Steuergerechtigkeit (1990), zur Rente für Eltern (1992) oder zur Beitragsleistung Kindererziehung (2001).
Der generationengerechte Sozialstaat braucht eine überfällige Leitmaxime: Nachhaltigkeit! Denn eine gute, nachhaltige Familienpolitik ist die zentrale Herausforderung unserer Gegenwart und die wichtigste Weichenstellung für die Zukunft unseres Gemeinwesens.
Der CDU-Politiker Dr. Klaus Zeh wurde 1952 in Leipzig geboren und studierte Informationstechnik und Ingenieurspädagogik. Seit 1989 engagiert sich Klaus Zeh politisch. Er war stellvertretender Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs. Im Freistaat Thüringen war Dr. Klaus Zeh von 1990 bis 2012 Mitglied des Landtags, Finanzminister (1990-94) und Familienminister (2003-2008) sowie Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei (2008-2009). Seit 2012 ist er Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen. Der Präsident des Deutschen Familienverbands ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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