Gregor_KirchhofIn den Sozialversicherungen wird die Erziehungsleistung von Eltern nicht angemessen berücksichtigt, kritisiert Gregor Kirchhof, Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Universität Augsburg. Und das, obwohl die Versicherungen ohne Kinder, ohne Familien und damit ohne Beitragszahler zusammenbrechen würden.

Das Bundesverfassungsgericht habe 2001 zu Recht festgestellt, dass Eltern in den umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen derzeit doppelt in Anspruch genommen würden. „Der Gleichheitssatz wird so verletzt“, argumentierte Kirchhof. Denn neben den Geldbeiträgen wendeten Eltern viel Zeit und Geld auf, um ihre Kinder zu erziehen. Diese Erziehungsleistung erhalte die Systeme und sei laut Gericht angemessen aufzunehmen.

Zwar sei Kinderlosen ein sogenannter Beitragszuschlag von 0,25 Beitragssatzpunkten auferlegt worden. Dieser Zuschlag wahre allerdings nicht das Maß der Verfassung. Eltern mit vielen Kindern erbrächten außerdem eine höhere Leistung als Eltern von einem oder zwei Kindern. Dies werde in der Erhöhung der Beiträge für Kinderlose nicht berücksichtigt. Obwohl die obersten Richter dem Staat vorgaben, auch die anderen umlagefinanzierten Zweige der Sozialversicherung in dieser Hinsicht zu überprüfen, sei das bisher ohne konkrete Umsetzung geblieben.

„Familien erhalten in den umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen keine Leistungen, sondern werden gleichheitswidrig benachteiligt“, fasste Gregor Kirchhof zusammen. Darüber hinaus leide die Studie des Bundesfamilienministeriums (Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen) unter einem weiteren grundlegenden Fehler: „Alle Zahlungen und Verschonungen werden sachwidrig addiert. Die Leistungen, die Familien für die Gesellschaft erbringen, werden aber nicht berücksichtigt. Zwar sind diese Leistungen schwer zu bemessen. Doch ist eine Bewertung der familien- und ehebezogenen Zahlungen ohne eine entsprechende Evaluation von vornherein einseitig und fehlerhaft.

Eine Analyse der Leistungen, die Familien für Wirtschaft und Staat erbringen, würde den Sinn des Verfassungsauftrags, Ehe und Familie besonders zu schützen, hervorheben. Ein klarer Blick auf die Leistungen könnte zudem sie Familienfreundlichkeit der Gesellschaft stärken. Die Gesellschaft, nicht der Staat spielt die maßgebliche Rolle, um ein kinderfreundlicheres Umfeld zu schaffen.“


Zuvor auf der Webseite des Deutschen Familienverbandes zum 90. Jubiläum in längerer Form erschienen.

In Arnd Uhle (Hrsg.): „Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte“,Duncker & Humblot, Band 78, 2014, S. 59ff lesen Sie einen entsprechenden Aufsatz von Professor Gregor Kirchhof(„Zur Disposition gestellt? Der besondere Schutz von Ehe und Familie zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit“).