von Iris Emmelmann, Grundlagenreferentin im Deutschen Familienverband (DFV)
Neben viel Unterstützung erreichen uns auch immer wieder Zuschriften zur Kampagne Elternklagen, die zeigen, wie viele Mythen die Familienpolitik umwabern – und wie groß die Gefahr ist, dass Familien und Nicht-Familien diesen Märchen auf den Leim gehen.
Einige der beliebtesten Irrtümer wollen wir deshalb hier aufklären:
Beliebt ist vor allem das Märchen von der großzügigen Familienförderung: Warum müssen Familien überhaupt für familiengerechte Sozialbeiträge klagen – sie werden doch schon mit Kindergeld, Kinderfreibeträgen, Elterngeld, Mütterrente, „kostenloser“ Mitversicherung und Unmengen weiterer Wohltaten so überschüttet, dass sie sich vor lauter Geld nicht retten können?
Schön wär’s, aber leider: Es stimmt nicht. Zahlen, nach denen es angeblich 200 Milliarden Euro Familienförderung gibt, sind leider nur – ein Märchen. Das hat der Deutsche Familienverband nach langen Diskussionen auch schriftlich vom Bundesfamilienministerium erhalten: Echte Familienförderung macht gerade einmal etwas mehr als ein Viertel dieser Summe aus – und die finanzieren Familien auch noch zu einem großen Teil über ihre Steuern selbst.
Dass dieses Märchen so beliebt ist, liegt auch daran, dass manche Mitspieler unter falschem Namen auftreten. Der Kinderfreibetrag zum Beispiel ist überhaupt keine Familienförderung. Er ist ein steuerrechtliches Instrument und dient dazu, das Existenzminimum von Kindern steuerfrei zu stellen. Das macht der Staat nicht aus Güte, sondern weil ihn die Verfassung dazu zwingt, Menschen vom selbst Erwirtschafteten das zu lassen, was sie für sich und ihre Kinder zum Leben mindestens brauchen. Auch das Kindergeld ist keine milde Gabe, sondern dient zuerst einmal der Steuerrückerstattung und wird mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. Denn der Kinderfreibetrag wird erst am Ende des Jahres bei der Steuererklärung berücksichtigt, übers Jahr zahlen Eltern „Strafsteuern“ aufs Kindesexistenzminimum – und diese Strafsteuern soll das Kindergeld den Eltern zurückerstatten. Erst was dafür je nach Familieneinkommen nicht nötig ist, ist tatsächlich Familienförderung – von den rund 39 Mrd. Euro „Kindergeld“ waren das 2013 nicht einmal die Hälfte.
Besonders dreist spielt die angeblich „beitragsfreie“ Familienmitversicherung unter falschem Namen. Denn beitragsfrei ist hier gar nichts. Natürlich zahlen Eltern auch aufs Existenzminimum ihrer Kinder Krankenversicherungsbeiträge – schließlich gibt es ja (noch!) keinen Kinderfreibetrag in Krankenversicherung, Rente & Co.! Dass Kinder und junge Menschen die Kasse viel weniger Geld kosten als alte Menschen – geschenkt, das gehört sich so in einem solidarischen Sozialsystem. Fakt ist und bleibt aber: In der Gesetzlichen Krankenversicherung sind Familien nicht Nutznießer, sondern Nettozahler.
So gar kein Füllhorn ist auch die angeblich so großzügige Mütterrente. Eine Mutter, die jetzt in Rente ist und typischerweise ihr Kind vor 1992 geboren hat, bekommt für ihre Kindererziehungszeiten nicht einmal 60 Euro Rente im Monat. Jüngere Eltern, die ihre Kinder ab 1992 geboren haben, können später einmal mit maximal knapp 90 Euro pro Kind und Monat rechnen – für gute 20 Jahre Liebe, Zuwendung, Zeit und nicht zuletzt auch Geld und Einkommensverzicht. Und geschenkt wird den Eltern hier ohnehin nichts: Denn mit ihrer Erziehung der Kinder, die die nächste Generation der Beitragszahler stellen, leisten die Eltern einen generativen Beitrag für die Rentenversicherung – und der ist für die Zukunftsfähigkeit des Rentensystems mindestens so wichtig wie die Geldbeiträge aufs Gehalt. Das hat das Bundesverfassungsgericht in den Urteilen, auf die sich unsere Kampagne stützt, immer wieder klargestellt und auch gleich darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass nicht alle Kinder später in die Rentenkasse einzahlen, an diesem wichtigen Generationenzusammenhang nichts ändert. Natürlich kriegt keiner Kinder für die Rente. Aber umgekehrt gilt: Die Rente baut darauf, dass die Menschen Kinder kriegen.
Dagegen wird gerne ein anderes Märchen in Stellung gebracht, nämlich die „Große Rentenillusion“: Jeder sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer zahlt doch Monat für Monat Rentenbeiträge und bekommt jedes Jahr von der Gesetzlichen Rentenversicherung einen Bescheid über seine Rentenansprüche und über die Beiträge, die er im Laufe seines Lebens eingezahlt hat? Erwirtschaftet er da seine Rente nicht selbst, auch ohne Kinder? Nein, denn: Beim Generationenvertrag Rente lagern die Rentenbeiträge nicht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund im Panzerschrank und werden angespart und später an den Versicherten ausgeschüttet. Denn die Rente ist ein Umlageverfahren, und die Beiträge gehen direkt an die jetzigen Rentner. Ohne Kinder, die später als Beitragszahler dafür sorgen können, dass die Rentenansprüche auf den Rentenbescheiden auch in Rentenzahlungen bedient werden können, sind diese Bescheide nur ein Stück Papier: ein Wechsel ohne Wert. Die Vorstellung, man könne die Rente ohne Kinder sichern und allein mit Geldbeiträgen fürs Alter vorsorgen, ist eben nur – eine Illusion.
Aber können wir uns nicht einfach aus dem Generationenvertrag herausstehlen und die Rente auf ein Kapiteldeckungsverfahren umstellen – ganz unabhängig von Kindern und Geburtenraten? Nein, auch das ist nur ein scheinbar bequemer Ausweg, der in der Wirklichkeit nicht funktioniert, ohne die Stabilität der Altersabsicherung einer ganzen Bevölkerung völlig ins Wanken zu bringen. Das hat sich eindrucksvoll bei der großen Banken- und Finanzkrise gezeigt: Hier sind Rentensysteme mit einem hohen Anteil an kapitalgedeckten Renten völlig abgestürzt und haben bis zu 40% des in Pensionskassen und Pensionsfonds angesparten Kapitals verloren, während das deutsche Umlagesystem deutlich besser durch die Krise gekommen ist.
Der Generationenvertrag hat Zukunft – aber nur, wenn er die Sorge für die Kinder ebenso einbezieht wie die Versorgung für die Rentner. Eine familiengerechte Sozialversicherung, die die Erziehungsleistung endlich ernst nimmt, ist also kein „Betrug“ an Menschen, die ein Leben lang eingezahlt haben – im Gegenteil: Ein Betrug ist die Rente im Moment für die Familien, die die eigentliche Zukunftsvorsorge über ihre Kindererziehung erbringen und dafür während der aktiven Familienphase mit zu hohen Beiträgen und im Alter mit einer Mini-Elternrente bestraft werden.
Iris Emmelmann studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und ist zertifizierte Demografieberaterin. Sie arbeitet seit 1993 als Grundlagenreferentin in der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Familienverbandes und lebt in Berlin.
Zufrieden mit unserem Engagement? Ihre Spende hilft unserem Engagement für Familien!
Hinterlasse einen Kommentar