von Dr. Klaus Zeh, Präsident des Deutschen Familienverbandes (DFV)

Familien sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht beitragsfrei mitversichert, wie es gerne in der Öffentlichkeit suggeriert wird. Seit Jahren weisen der Deutsche Familienverband und der Familienbund der Katholiken darauf hin. Diese Kritik wird durch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung noch einmal bekräftigt.

Für die Fortexistenz der solidarischen Krankenversicherung sind Familien als deren Basis unersetzlich. Allein unsere Kinder garantieren, dass die GKV nicht noch weiter in eine gefährliche Schieflage gerät. Angesichts der demografischen Krise, in der wir uns längst befinden, sollten bei uns alle Alarmglocken läuten. Wie die Pflege- und Rentenversicherung, ist die GKV auf den Generationenvertrag angewiesen: die jungen Erwachsenen sorgen für die Alten, die Gesunden für die Kranken. Doch was passiert, wenn immer weniger Kinder geboren werden, die das System stützen?

Familien brauchen Abgabengerechtigkeit

Die heutigen Kinder werden später mit ihren Beiträgen nicht nur ihre eigenen Gesundheitskosten und die ihrer Eltern bezahlen, sondern auch die der Rentner, die selbst nie Kinder großgezogen haben und dadurch von diesem System profitieren. Familien leisten also mit der Förderung und Erziehung ihrer Kinder einen wesentlichen generativen Beitrag für den Erhalt und die Funktionsfähigkeit der solidarischen Sozialversicherung.

Bisher zahlen Familien mit dem monetären Beitrag in der Krankenversicherung, ebenso wie in der Renten- und in der Pflegeversicherung Beiträge auf den verfassungsrechtlich bestätigten Selbstbehalt (Existenzminimum) ihrer Kinder. Dadurch greift der Staat auf Einkommen zu, das Familien selbst für ihre Kinder erwirtschaften und das ihnen gehört. Wir fordern einen Kinderfreibetrag in allen Sozialversicherungssystemen, mit dem endlich zumindest das Existenzminimum von Kindern freigestellt wird.

Als die Bertelsmann-Studie auf der Fachtagung des Deutschen Familienverbandes und des Familienbundes in Mannheim vorgestellt wurde, ist kein einziger Bundes- oder Landespolitiker unserer Einladung zur Diskussion gefolgt. Dabei ist eine offene Diskussion über die Zukunft der solidarischen Sozialversicherung nötiger denn je.

Ist die GKV verfassungsbedenklich?

Wir sollten uns in einem ehrlichen Dialog die Frage stellen, ob die GKV nicht in ihrer bisherigen Form sogar verfassungsbedenklich ist. In einem der vier großen Familienurteile, genauer gesagt im Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001, ist zu lesen:

„Es ist mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.“

Und jetzt kommt der entscheidende Satz der Verfassungshüter, der dem Bundestag eine angemessene Frist zur Umsetzung der familiengerechten Verbeitragung in den Sozialversicherungen gesetzt hat:

„Bei der Bemessung der Frist hat der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird.“

Systemimmanente Familiengerechtigkeitslücke

Eines möchte ich klar stellen: Wir halten an der solidarischen GKV fest, aber wenn sie reformbedürftig ist, dürfen wir uns keiner Kritik verschließen. Die GKV hat eine systemimmanente Familiengerechtigkeitslücke. Wenn wir von dem Grundsatz ausgehen, dass, wie im Steuerrecht, Familien nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit besteuert werden müssen, sind die Beiträge in der GKV nicht familiengerecht gestaltet.

Die GKV erhebt Beiträge auf das gesamte Familieneinkommen, ohne das Existenzminimum der Kinder und des nicht erwerbstätigen Ehegatten zu berücksichtigen. Kinder und Ehegatten sind eigenständige Subjekte in der Solidargemeinschaft – und das sollte auch von der GKV anerkannt werden.

Deshalb fordern wir die Berücksichtigung des Existenzminimums in der GKV und das Ende vom Märchen der „beitragsfreien Mitversicherung“.

Klaus ZehDer CDU-Politiker Dr. Klaus Zeh wurde 1952 in Leipzig geboren und studierte Informationstechnik und Ingenieurspädagogik. Seit 1989 engagiert sich Klaus Zeh politisch. Er war stellvertretender Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs. Im Freistaat Thüringen war Dr. Klaus Zeh von 1990 bis 2012 Mitglied des Landtags, Finanzminister (1990-94) und Familienminister (2003-2008) sowie Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei (2008-2009). Seit 2012 ist er Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen. Der Präsident des Deutschen Familienverbands ist verheiratet und hat zwei Kinder.

 


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