Dürfen Richter des Bundessozialgerichts (BSG) kritisiert werden, weil deren Urteil nicht gefällt? Nein! Die richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut.

Auch wenn es schwerfällt, dem Präsidenten des BSG, Dr. Rainer Schlegel zu folgen. Noch im Mai 2017 hatte er vor der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung gefordert, der Staat habe sich möglichst dort herauszuhalten, wo er auf funktionierende, natürliche Sozialgemeinschaften treffe und solle alles unterlassen, was Gemeinschaften wie Familien schwäche. „Wir sollten uns fragen, ob es möglich ist, Familien oder Eltern in der Sozialversicherung stärker zu entlasten.“

Doch in der Entscheidung des 12. Senats unter dem Vorsitz von Dr. Schlegel am 20.07.2017 war davon nichts zu hören. Eine Familie aus Freiburg hatte gefordert, dass ihre durch die Erziehung der Kinder erbrachten generativen Beiträge in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung berücksichtigt werden. Weder setzte sich das BSG mit den Ausführungen des BVerfG zur „transferrechtlichen Betrachtung“, aus welcher sich im Ergebnis ein Transfer von Familien mit mehreren Kindern an die „ohnehin schon besser gestellten Familien mit nur einem Kind und Kinderlose“ nachweisen lässt, noch mit der dort ausdrücklich als mit Art. 14 GG vereinbar angesehenen „maßvollen Umverteilung von Rentenanwartschaften Kinderloser auf Eltern“ auseinander. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde sowie ähnlichen dürfen wir gespannt sein.

Harsche Kritik an Entscheidungen des 12.Senats des BSG äußerten vor allem Prof. Dr. Christian Seiler, der methodische Fehler, sowie „richterlichen Eigensinn“ kritisierte, sowie Prof. Dr. Anne Lenze, die feststellte: „Offensichtlich befindet sich der 12. Senat in offenem Widerspruch zu den Grundsätzen des BVerfG in seiner Entscheidung vom 3.4.2001 – dies aber hätte eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlich gemacht.“

Was aktuell stutzig macht, ist der Geschäftsbericht des BSG 2017. Darin nimmt Dr. Schlegel Stellung zu einer Strafanzeige gegen Richter des BSG wegen Rechtsbeugung. Der darin erwähnte „Artikel eines früheren Vorsitzenden Richters am Bundessozialgericht“ weckt Interesse und lenkt weiter auf das bemerkenswerte Rechtsgutachten von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Hambüchen, Vors. Richter am BSG a.D. vom 4.1.2016.

Der Gutachter bestätigt dem Kläger eine „den klaren und eindeutigen Vorschriften des SGB Vwidersprechenden Rechtsprechung des BSG, die „in Widerspruch zu dem in mehreren Gesetzesnovellen geäußerten Willen des Gesetzgeber“ stehe. Eine vom Gericht getroffene Annahme wertet er als unzutreffend. Diese werde vom 1. Senat des BSG nur vertreten, um weitere – unzulässige – Einschränkungen zu kreieren. Der 1. Senat könne für seine Entscheidung keine tragfähige Rechtsgrundlage anführen. Der Widerspruch zur eigenen Rechtsprechung des 1. Senats sei niemals ausgeräumt oder auch nur zu erklären versucht worden. Das Durchziehen einer Entscheidung hänge möglicherweise damit zusammen, dass man in Anbetracht eines kurz vor dem Abschluss anstehenden Prüfungsverfahrens „noch eine richtungsweisende Entscheidung treffen wollte. Ein solches Vorgehen wäre indes rechtspolitisch problematisch.

Einige Textpassagen in den Urteilen des 1. Senats des BSG lassen die notwendige Neutralität und Objektivität vermissen; zudem erfolgt die Zitierung von Gesetzgebungsdrucksachen ´variantenreich´.“ Der ehemalige Vorsitzende Richter am BSG geht mit seinen Kollegen hart ins Gericht, wenn er eine „grundgesetzmissachtende Form“ anprangert, und dem 1.Senat attestiert, er habe „das alle Gerichte verpflichtende Objektivitätsgebot (Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) in nachhaltiger Weise verletzt.

Wer die Urteile des Bundessozialgerichts in Sachen www.elternklagen.de aufmerksam verfolgt, erkennt einige erschreckende Parallelen. Richter dürfen nicht kritisiert werden, weil ihre Entscheidung nicht gefällt. Aber die Frage sei erlaubt, ob grobe Lese-, Rechen- und Denkfehler in den Urteilen des BSG „objektiv willkürlich“ sind oder Ausdruck intellektueller Schwächen.

 

 

 

 

 

 


Siegfried Stresing

Vizepräsident des Deutschen Familienverbandes und Kampagnenleiter www.elternklagen.de