Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht sich für eine stärkere Berücksichtigung von Familienleistungen in der Pflegeversicherung aus, dem kleinsten der drei auf Familienleistungen basierenden Sozialversicherungszweigen.
„Wenn das gelingt, kann man in der politischen Debatte auch darüber nachdenken, andere Zweige der Sozialversicherung neu zu gestalten.“ Das sagte Spahn gestern Abend auf einer Podiumsdiskussion des Familienbundes der Katholiken in der Katholischen Akademie Berlin unter dem Titel „Familiengerechtigkeit in der Sozialversicherung: Wie muss die Erziehungsleistung in der Renten- und Krankenversicherung anerkannt werden?“
Der Familienbund fordert seit Jahren eine Berücksichtigung von Erziehungsleistungen von Eltern in deren aktiver Familienphase, und zwar in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei beruft sich der Verband auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001. Nach Klagen von Familien gegen das geltende Beitragsrecht erwartet der Familienbund in den nächsten Monaten ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
„Entlasten wir Familien konsequent und angemessen in allen Zweigen der Sozialversicherung, und zwar begrenzt auf die Dauer ihrer aktiven Familienphase“
Spahn wies darauf hin, dass für seinen Vorschlag, die Pflegeversicherung familienfreundlicher zu gestalten, jedoch noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse: „Das wird kein Spaziergang. Die differenzierte Behandlung von Eltern und Kinderlosen weckt leicht große Emotionen.“ Ferner brauche Deutschland Wirtschaftswachstum, um künftig Sozialleistungen zahlen zu können.
Auch die Rahmenbedingungen für um-lagefinanzierte Sozialleistungen hätten sich nach Einschätzung Spahns verschlechtert: „Die Zahl der potenziellen Eltern ist schon so weit gesunken, dass es lange dauert, bis wir wieder die Kurve kriegen.“ Damit fehlen den Systemen künftige Beitragszahler. Das werde insbesondere nach 2030 spürbar werden, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in die Rente gingen, sagte Spahn.
Für den Familienbund der Katholiken sei der aktuelle Beitragszuschlag von 0,25 Prozentpunkten für Kinderlose in der Pflegeversicherung nicht nur in keiner Weise ausreichend, sagte Familienbund-Präsident Ulrich Hoffmann gestern Abend vor rund 80 Zuhörern. „Er ist auch konzeptionell falsch. Eltern müssen diesen Zuschlag derzeit nicht zahlen und zwar unabhängig davon, ob sie noch Unterhalt für ihre Kinder zahlen und dadurch finanziell belastet sind oder nicht. Dieser Webfehler muss korrigiert werden: Entlasten wir Familien konsequent und angemessen in allen Zweigen der Sozialversicherung, und zwar begrenzt auf die Dauer ihrer aktiven Familienphase! Diesen Tribut haben Eltern verdient, die viel Zeit und Geld für ihre Kinder aufwenden.“
„Eine Sozialversicherung soll Lebensrisiken begegnen, nicht neue Bedarfslagen wie Kinderarmut produzieren“
Matthias Dantlgraber, Bundesgeschäftsführer des Familienbundes, sprach sich in dem Gespräch für die Einführung eines Kinderfreibetrags aus: „Um das Sozialversicherungssystem familiengerecht und zukunftsfähig zu gestalten, muss in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ein Freibetrag für Eltern eingeführt werden, der sich am Kinderfreibetrag im Steuerrecht orientiert. Das ist ein Akt von Gerechtigkeit und Solidarität, auf denen unsere Gesellschaft gründet.“
Durch seine Einführung hätte jede Familie jeden Monat pro Kind einheitlich 236 Euro mehr zur Verfügung, sagte er. Rechnet man das Kindergeld und den Kinderzuschlag zusammen, würden Eltern bereits heute eine Unterstützung in Höhe einer Kindergrundsicherung erhalten, und zwar nicht als Fürsorgeleistung, sondern als gerechten Ausgleich für erbrachte Familienleistungen, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert.
Spahn hatte sich vor einem Jahr in einer wochenlangen öffentlichen Debatte für mehr gesellschaftliche Solidarität für Familien in der Sozialversicherung ausgesprochen. „Familien mit Kindern bei den Sozialbeiträgen zu entlasten oder zumindest nicht stärker zu belasten, könnte ein Baustein einer familienfreundlichen Politik sein“, sagte er damals. Die Rechtswissenschaftlerin Anne Lenze von der Hochschule Darmstadt erklärte auf dem Podium: „Von einem Durchschnittseinkommen kann eine Familie mit mehreren Kindern heute nicht mehr leben.“ Grund hierfür seien vor allem die hohen Abzüge der Sozialversicherungsbeiträge, die bereits ab dem ersten Euro erhoben werden. Sie forderte: „Fehler müssen korrigiert werden. Eine Sozialversicherung soll Lebensrisiken begegnen, nicht neue Bedarfslagen wie Kinder-armut produzieren.“
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