(Berlin/Freiburg). In offenem Widerspruch zum Bundessozialgericht ist das Sozialgericht Freiburg davon überzeugt, dass die Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung verfassungswidrig ist und hat diese Frage gestern dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Die Entscheidung dürfte weitreichende Auswirkungen auch für die private Kranken- und Pflegeversicherung haben.
Mit dem sogenannten „Beitragskinderurteil“ vom 3. April 2001 verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, bei den Beitragssätzen zur sozialen Pflegeversicherung die „generativen“ Beiträge, die Eltern mit der Kindererziehung zusätzlich zu ihren Geldbeiträgen leisteten, zu berücksichtigen. Die Kindererziehung sei den Geldbeiträgen gleichwertig, weil sie den langfristigen Bestand des Systems sichere. Dabei sei den „familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen“ während der Zeit der Kindererziehung Rechnung zu tragen. Hierauf reagierte der Gesetzgeber, indem er den Beitragssatz für Kinderlose um 0,25 Prozentpunkte erhöhte. Für Eltern gilt der verminderte Beitragssatz lebenslang, eine Differenzierung nach der Kinderzahl erfolgt jedoch nicht.
In einem weiteren Urteil vom 3. April 2001 zur privaten „kapitalgedeckten“ Pflegeversicherung verneinte das Bundesverfassungsgericht diese Gleichwertigkeit von „generativen“ und „monetären“ Beiträgen, verpflichtete den Gesetzgeber jedoch, künftige Veränderungen im Auge zu behalten und gegebenenfalls auch bei der privaten Pflegeversicherung die Kindererziehung bei der Beitragsgestaltung zu berücksichtigen.
Mit dem 1. Pflegestärkungsgesetz hat der Gesetzgeber schließlich die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte erhöht, von denen seitdem 1/3 in den gleichzeitig eingerichteten Pflegevorsorgefonds fließen. Mit diesen Ersparnissen sollen die sonst absehbar rasanten Beitragssteigerungen ab 2035 abgefedert werden; eine Beitragsdifferenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen ist dabei nicht vorgesehen.
Unterstützt vom Deutschen Familienband (DFV) und dem Familienbund der Katholiken (FDK) werden mit der Elternklagen-Kampagne „Wir jammern nicht, wir klagen“ seit 2015 von mehr als 2000 Familien unter anderem diese Regelungen bei der Pflegeversicherung mit Klagen vor den Sozialgerichten angegriffen. Sie beanstanden, dass die unterschiedliche Erziehungsleistung bei unterschiedlichen Kinderzahlen nicht differenziert berücksichtigt wird. Dass der Gesetzgeber zudem Eltern erwachsener Kinder und Kinderlose unterschiedlich behandele, folge einer biologistischen Sichtweise, welche jeglichen Bezug zum Familienrecht verloren habe. Im Übrigen wehren sie sich dagegen, auch noch mit identischen Beiträgen wie Kinderlose zum Pflegevorsorgefonds für die sozialen Folgen vor allem kinderloser Lebensentwürfe verantwortlich gemacht zu werden.
Das Sozialgericht Freiburg folgte dieser Auffassung gestern und gab einem Elternpaar mit 4 Kindern aus Waldshut-Tiengen recht. Damit erhält nun das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2001 gegebenenfalls zu präzisieren und durchzusetzen. Da nun auch in der sozialen Pflegversicherung das Kapitaldeckungsverfahren zumindest teilweise zur Anwendung kommt, geraten damit auch die Regelungen bei den Privatkassen in den Fokus verfassungsgerichtlicher Prüfung.
24.01.2018
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Näheres zur Kampagne „Wir jammern nicht – wir klagen“ unter www.elternklagen.de
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Liebe Grüße Alisa