Die vom Familienbund der Katholiken unterstützte Familie Essig hat heute (29. März 2016) in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die ungerechte Beitragserhebung in der deutschen Sozialversicherung erhoben.
Katharina und Markus Essig wenden sich gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 2015, das es nicht für verfassungsrechtlich geboten erachtet hatte, die mit erheblichen finanziellen Kosten verbundene Kinderziehungsleistung bei der Bemessung der Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen.
Stefan Becker, Präsident des Familienbundes der Katholiken, bezeichnete die heutige Verfassungsbeschwerde als wichtigen Schritt für mehr Gerechtigkeit in den sozialen Sicherungssystemen:
„Wir geben jetzt dem höchsten deutschen Gericht die Gelegenheit, in konsequenter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung Familiengerechtigkeit in der Sozialversicherung herzustellen. Der Beitrag, den Eltern mit der Erziehung von Kindern für die Sozialversicherung leisten, muss endlich anerkannt werden.“
Bereits 2001 hat das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Pflegeversicherungsurteil entschieden, dass es dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes widerspricht, wenn bei der Beitragshöhe nicht danach differenziert wird, ob Kinder betreut und erzogen werden.
„Der Gleichheitssatz des Grundgesetz fordert nicht nur, dass Gleiches gleich, sondern auch, dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss“, so Stefan Becker. „Unterhaltsverpflichtete Eltern sind wirtschaftlich ungleich stärker belastet als Personen, die keine Unterhaltspflicht trifft. Zudem stellen die Summen, die Eltern für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder ausgeben, einen wichtigen Beitrag für die Sozialversicherung dar. Denn diese ist auf gut ausgebildete neue Beitragszahlerinnen und Beitragszahler existenziell angewiesen.“
Das Bundesverfassungsgericht hat 2001 anerkannt, dass Eltern neben den Geldbeiträgen einen generativen Beitrag für die Sozialversicherung erbringen und daher bei den Geldbeiträgen zu entlasten sind. Verbindlich konnte es das nur für die Pflegeversicherung entscheiden. Die Verfassungsrichter wiesen aber darauf hin, dass „die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird“.
Umgesetzt hat der Gesetzgeber dieses Urteil bisher nicht – lediglich in der Pflegeversicherung gibt es eine minimale Beitragsdifferenzierung in Form eines Beitragszuschlags von 0,25 Prozentpunkten für Kinderlose.
Daher hat sich der Familienbund 2006 mit mehreren Musterverfahren auf den Klageweg durch die Instanzen begeben, der jetzt beim höchsten deutschen Gericht endet. Begleitet werden die Musterklagen durch die Aktion www.elternklagen.de, bei der Eltern die Forderung einer familiengerechten Beitragserhebung unterstützen können.
Stephan Schwär, Landesvorsitzender des Familienbundes Baden-Württemberg und selbst Musterkläger, freut sich.
„Endlich ist wenigstens eines der Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht angekommen. Wir übergeben heute gern die Verfassungsbeschwerde. Wir sind als Familienbund überzeugt, dass hier in Karlsruhe Familien endlich eine gerechte Entscheidung bekommen werden.“
Um die Kosten der Kindererziehung auf der Beitragsseite angemessen zu berücksichtigen, spricht sich der Familienbund für einen Kinderfreibetrag in Höhe des Kinderexistenzminimums aus. Familien würden durch einen solchen Freibetrag genau zu dem Zeitpunkt entlastet, zu dem sie finanziell besonders belastet sind. Und die Wirkung des Freibetrags wäre für alle Familien gleich hoch.
Zum Ziel der Verfassungsbeschwerde äußerte der Prozessbevollmächtigte der Familie Essig, Prof. Dr Thorsten Kingreen:
„Der Verfassungsbeschwerde geht es um eine Sozialversicherung, die alle unabhängig davon schützt, wie sie leben, und die die Lasten, die durch dieses Schutzversprechen ausgelöst werden, gleichmäßig verteilt.“
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