Vorgeschichte

Der im Grundgesetz garantierte Schutz der Familie (Art. 6 GG) und die daraus abgeleiteten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind das Fundament der Familienpolitik in unserem Land, allerdings mit einem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. In Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG hat aber das Bundesverfassungsgericht seit 1990 mehrfach auf die verfassungswidrige Benachteiligung von Familien hingewiesen und den Gesetzgeber in die Pflicht genommen.

Im Urteil zum steuerfreien Existenzminimum vom 29. Mai 1990 gaben die Bundesverfassungsrichter vor, das Existenzminimum aller Familienmitglieder – also auch der Kinder – in realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen. Auch eine schwierige Haushaltslage des Staates könne keine verfassungswidrige Besteuerung von Familien rechtfertigen, argumentierten sie. Zugleich stellten sie klar, dass eine gerechte Besteuerung von Steuerpflichtigen mit Kindern nicht mit Familienförderung gleichzusetzen sei. Familienförderung könne erst dann beginnen, wenn Steuergerechtigkeit umgesetzt wurde.

„Bei der Einkommensbesteuerung muss ein Betrag in Höhe des Existenzminimums
der Familie steuerfrei bleiben; nur das darüber hinausgehende Einkommen darf der
Besteuerung unterworfen werden“.

Das „Trümmerfrauenurteil“ vom 7. Juli 1992 macht wichtige Vorgaben für die Berücksichtigung der Kindererziehung in der Rente .Die Verfassungsbeschwerde – die übrigens von drei DFV-Mitgliedsfamilien angestrebt wurde – erreichte aber noch mehr. Das Bundesverfassungsgericht erteilte dem Gesetzgeber einen umfassenden Reformauftrag: Er müsse sicherstellen, dass sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie in der Gesetzlichen Rentenversicherung tatsächlich verringere.

“Unabhängig davon, auf welche Weise die Mittel die Mittel für den Ausgleich aufgebracht werden, ist jedenfalls sicherzustellen, dass sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert. Dem muss der an den Verfassungsauftrag gebundene Gesetzgeber erkennbar Rechnung tragen.”

Deutlich wird auch das Pflegeversicherungsurteil vom 3. April 2001. Zum ersten Mal beziehen sich die Vorgaben der Bundesverfassungsrichter auf die Höhe der Sozialabgaben, die Eltern monatlich zahlen müssen. Sie stellten klar, dass es verfassungswidrig sei, Eltern und Kinderlose mit gleichhohen Beiträgen zur Pflegeversicherung zu belasten. Denn Eltern zahlten nicht nur finanziell ein, sondern auch generativ: Mit der Erziehung ihrer Kinder garantieren sie das Fortbestehen eines Sozialversicherungssystems, das auf nachwachsende Generationen baut. Der generative Beitrag (Erziehung von Kindern) und der monetäre Beitrag sind gleichwertig.

Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete den Gesetzgeber nicht nur, Eltern bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung zu entlasten, sondern auch die anderen Zweige der Sozialversicherung auf Familiengerechtigkeit hin zu überprüfen.

“Bei der Bemessung der Frist hat der Senat berücksichtigt, dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird.”

Die Bundesregierung sah den Forderungen der Obersten Richter jedoch mit der leichten Beitragserhöhung für Kinderlose um 0,25 Prozentpunkte in der Pflegeversicherung Genüge getan. Wie in der Bundesdrucksache 15/4375 nachzulesen ist, habe die Prüfung der anderen Zweige der Sozialversicherung keine Notwendigkeit ergeben, Familien im Vergleich zu Kinderlosen bei den Beiträgen zu entlasten.

„Nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist aus ihrer Sicht die in der Sozialen Pflegeversicherung für erforderlich gehaltene beitragsrechtliche Differenzierung zwischen kindererziehenden und kinderlosen Pflichtbeitragszahlern nicht auf andere Zweige der Sozialversicherung zu übertragen. In diesem Prüfergebnis spiegelt sich auch der dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zugebilligte große Spielraum wider, wie die Betreuungs- und Erziehungsleistung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern zu berücksichtigen ist.“  

Bis heute sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht adäquat umgesetzt worden. Aus diesem Grund gehen wir den Klageweg und sind derzeit im Verfahren vor dem Bundessozialgericht, dessen Urteil wir im Herbst 2015 erwarten.