von Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes e.V. (DFV)

Kinder sind die Zukunft unseres Gemeinwesens, denn sie sind die Grundvoraussetzung für das Weiterbestehen von Staat und Gesellschaft, für ihre Stabilität und Erneuerung zugleich.

Doch obwohl wir alle auf die Lebensleistung von Müttern, die neun Monate lang ihr Kind im Körper tragen, angewiesen sind, beutet sie unser Sozialsystem ungeniert aus.

Wer an die eigene Rente denkt, wird entweder panisch oder blendet die Zukunft aus. Vor allem Frauen, die Kinder haben, sehen im Alter finanziell schwierigen Zeiten entgegen. Während der Erziehungszeit wird nicht nur oft das Geld knapp, auch die Karrierechancen steigen durch Nachwuchs nicht gerade in ungeahnte Höhen, nach beruflichem Wiedereinstieg kommt die Teilzeit oder schlecht bezahlte Arbeitsplätze. Kindererziehung wird jedenfalls von Arbeitgeberseite nicht als wichtige Qualifikation angesehen, obwohl es weltweit keinen anderen Job gibt, in dem man seine organisatorischen Multitasking-Fähigkeiten besser schulen kann.

Die Geburt eines folgenschweren Irrtums

Als Konrad Adenauer vor 60 Jahren die Rentenreform durchsetzte, sollte aus der Rente als kleines Zubrot eine einkommensabhängig wachsende Altersversorgung werden, die den Lebensstandard sichern konnte.

Dabei baute der damalige Bundeskanzler auf nachwachsende Generationen: Die Rente war nicht länger ein verzinster Beitrag des Versicherungsnehmers selbst, sondern die jeweils mittlere Generation sollte von nun an einen bestimmten Prozentsatz ihres Einkommens als Rente an die ältere Generation zahlen. Das ist bis heute so geblieben. Denn Konrad Adenauer war davon ausgegangen: „Kinder kriegen die Leute immer.“

Ein folgenschwerer Irrtum: Gegenwärtig stehen immer weniger junge Menschen immer mehr und immer älteren Menschen gegenüber. Das System „Generationenvertrag“ droht heute zu kollabieren. Denn es hat einen entscheidenden Geburtsfehler: Es verlässt sich ohne Unterschied auf alle in der mittleren Generation.

Ob zum Beispiel eine Frau kein Kind, ein Kind oder fünf Kinder erzieht und damit für den Erhalt des Systems überhaupt erst sorgt, spielt dabei keine Rolle. Jede muss den gleichen Rentenbeitrag aufbringenGerecht ist das nicht. Ausgehend von einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 35.000 Euro sind das 3.273 Euro an Rentenbeiträgen – ob man nun Kinder hat oder nicht.

Verfassungswidrige Rentenbeiträge: Frauen nehmen es einfach hin

Mütter (und Väter) zahlen mit dem generativen (Kindererziehung) und dem finanziellen Beitrag doppelt in die Rentenkasse ein.

Und nicht nur das: Wer Kinder erzieht, steigt zwangsläufig aus dem Beruf aus, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. Man nimmt also über viele Jahre Einkommensnachteile – die sich auch auf die künftige Rente auswirken – in Kauf und muss außerdem verpasste Karrierechancen hinnehmen.

Die magere Anerkennung der Erziehungszeiten in der Rente gleicht die Benachteiligung in keinster Weise aus: Ein Kind „bringt“ nicht einmal 100 Euro Rente. Vor allem Mütter sind deshalb von Altersarmut bedroht. 2015 lag die durchschnittliche Regelaltersrente für Frauen bei 592,50 Euro im Monat, obwohl jedes einzelne Kind der Rentenkasse einen Überschuss von 77.000 Euro beschert.

Durch Kindererziehung bedingte Nachteile in der Altersversorgung sind verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht im vom Deutschen Familienverband (DFV) erstrittenen „Trümmerfrauenurteil“ von 1992. Das „Pflegeversicherungsurteil“ 2001 verpflichtete den Gesetzgeber außerdem, die Benachteiligung von Familien auf der Beitragsseite auszuräumen und auch die anderen Zweige der Sozialversicherung auf Familiengerechtigkeit zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht leitete aus dem Grundgesetz („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Art. 3 Abs. 1 GG) den Leitsatz ab, dass Kindererziehung als ein Beitrag für jene sozialen Sicherungssysteme zu bewerten ist, die auf das Nachwachsen von Generationen angewiesen sind.

Bisher ein Urteil ohne Folgen

Konsequenzen hatten die Urteile des Bundesverfassungsgerichts bis heute nicht – und das ist ein Skandal und einen Aufschrei wert!

Noch immer zahlen Eltern Beiträge in die Kranken- und Rentenversicherung, als hätten sie überhaupt keine Kinder. Gleichzeitig erziehen, bilden und versorgen sie ihren Nachwuchs klaglos, der später einmal die Renten der gesamten älteren Generation zahlen wird. Diese Kosten werden Eltern und ihren Kindern aufgebürdet, also „privatisiert“. Der Nutzen aber wird von allen in Anspruch genommen, egal ob diejenigen Kinder hatten oder nicht. Das heißt, es findet eine Umverteilung zwischen Familien und Kinderlosen zugunsten der letzteren statt. Das ist nicht im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik.

Was wir dringend brauchen – und was Eltern verdienen – ist Gerechtigkeit. Das heißt im Fall der Sozialversicherungen: Wir brauchen einen Freibetrag für jedes Kind in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Nur so werden generativer und finanzieller Beitrag gerecht bewertet. Läge der entsprechende Kinderfreibetrag ähnlich wie im Steuerrecht bei 8.000 Euro, würde jede Familie um mindestens 238 Euro pro Kind und Monat entlastet werden.

Vor allem mit Blick auf die Bundestagswahlen brauchen wir wache und engagierte Menschen, die die Anerkennung von Familien unmissverständlich einfordern. Es geht nicht um das Ausspielen kinderloser Frauen und Männer gegen Eltern, es geht um ein nachhaltiges Sozialversicherungssystem, das nicht allein auf dem Rücken von Familien lastet und das in der Zukunft überhaupt noch existieren kann.

 


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